Datum: 07.01.2016 Erschienen in: Neue Zürcher Zeitung Autor: Katharina Bracher
Ghostwriting-Agenturen schreiben zahlungswilligen Studenten ganze akademische Arbeiten. Skrupel haben sie dabei nicht.
Ein paar Monate vor Abgabe ihrer Masterarbeit entschied sich Angela Keller, für Hilfe zu bezahlen. Mit der statistischen Auswertung ihrer Daten war die angehende Sozialwissenschafterin überfordert. Sie hatte dicke Wälzer über höhere statistische Verfahren studiert – und war trotz Bestnoten in ihrem bisherigen Studium nicht in der Lage, den aussergewöhnlich komplizierten Statistik-Teil zu bewältigen. Das Institut, an dem Keller eingeschrieben war, konnte auch nicht helfen. Also wendete sich die Studentin an ein deutsches Unternehmen, das sich mit ihrer Fragestellung vertraut machte und schliesslich die statistische Auswertung der Daten übernahm. Kostenpunkt: 700 Euro. Für die Masterarbeit, die Keller abgesehen von der statistischen Auswertung selbst verfasst hatte, bekam sie eine glatte Sechs.
So eine Arbeit wäre nur eine Fingerübung für professionelle Ghostwriting Agenturen. Sie bieten vor allem Doktoranden, aber auch Masterstudierenden in den Fächern Medizin und Betriebswirtschaft «Hilfe zur Selbsthilfe» an, wie es ein Sprecher formuliert. Ghostwriting Agenturen betreuen nicht nur Teile von wissenschaftlichen Arbeiten, sondern ganze Dissertationsprojekte. Die mehrmonatige Begleitung einer 250-seitigen Doktorarbeit durch promovierte Dozenten kostet um die 22 000 Euro. Strikte Vertraulichkeit wird garantiert.
In den letzten Jahren haben nicht nur Coaching-Agenturen von der Schweizer Bildungsexpansion profitiert. Der Bereich der universitären Weiterbildung ist stark gewachsen, jener der Fachhochschulen fast explodiert. Fast jeder Arbeitnehmer spielt heute mit dem Gedanken, ein zusätzliches Bildungszertifikat oder einen akademischen Grad zu erwerben, um seine Karrierechancen zu verbessern. Auch die Arbeitgeber erwarten heute höhere schulische Qualifikationen.
Davon profitieren Ghostwriter, wie man Autoren im Auftragsverhältnis nennt, im besonderen Masse. In den letzten fünf Jahren haben mindestens drei grössere Ghostwriting-Agenturen Niederlassungen in der Schweiz eröffnet. Sie nennen sich GWriters, Acad Write oder Acadoo und begnügen sich nicht damit, Studenten und Doktoranden zu beraten – sie verfassen gegen Bezahlung ganze Arbeiten für sie. Genauer: Sie lassen sie verfassen. Denn die Agenturen fungieren nur als Vermittler zwischen Auftraggeber und freien Autoren. Diese tragen meistens selbst einen Doktortitel und haben Erfahrung in der Forschung. Die meisten Agenturen halten die Identität ihrer Ghostwriter streng geheim. Oft arbeiten diese in der universitären Forschung und verdienen sich mit Ghostwriting ein Zubrot.
Die Kaufkraft von Schweizer Bildungswilligen ist für die deutschen Ghostwriting-Agenturen ein Glücksfall. «Jede Woche treffen zwanzig Anfragen von Schweizer Auftraggebern ein», sagt Thomas Nemet, Geschäftsführer von Acad Write. Auf jede dritte bis vierte Anfrage folge ein Auftrag. Die Schweiz sei das Kerngebiet von Acad Write, sagt Nemet, der die Firma vor bald zwölf Jahren in Ostdeutschland mit 500 Euro Startkapital gegründet hat. 2009 verlegte die Firma ihren Sitz in die Schweiz. «Gefragt sind bei uns vor allem die Fachgebiete Rechtswissenschaften und Wirtschaft», sagt Nemet. Aber auch Naturwissenschaften könne man abdecken. «Unser Autoren-Pool umfasst Experten aus fast allen Fachbereichen.»
Einzig in einer Disziplin kann Acad Write kein oder noch kein Ghostwriting anbieten: in der Astrophysik. Die Agentur GWriters könnte nach eigenen Angaben auch dies. «Wir arbeiten derzeit mit knapp über 2000 akademischen Experten zusammen», sagt Sprecherin Sabrina Dorsch. Die Agentur ist in sechs Ländern tätig, etwa jeder zehnte Auftraggeber stammt aus der Schweiz. Auch hier gehören in die Top 5 der gefragten Gebiete Wirtschaft und Recht. Aber auch Dissertationen in Medizin und Sozialwissenschaften werden in Auftrag gegeben.
Um die Legalität zu wahren, wenden Ghostwriting-Agenturen folgenden Kniff an: Man weist die Auftraggeber darauf hin, dass sie die Arbeiten nicht als eigenständig verfasste Masterarbeiten oder Dissertationen einreichen dürfen. Man verstehe eben den Begriff des Ghostwritings anders, sagt ein Sprecher der Agentur Acadoo: «Wir erstellen eine Mustervorlage; wollen aber, dass der Kunde dieses Muster verwendet, um selbst die Arbeit zu verfassen.» Dies werde dem Kunden klar kommuniziert.
Dass dies nicht immer so transparent gehandhabt wird, zeigen indes Anfragen der NZZ im Namen einer Privatperson, die um die komplette Lieferung einer empirischen Doktorarbeit im Bereich der Geisteswissenschaften nachsucht. Alle angefragten Anbieter reagieren innerhalb von wenigen Stunden mit einer Offerte. Die detaillierteste liefert Acad Write. Die Erstellung eines «Exposés inklusive Gliederung und Auswahlbibliografie» veranschlagt die Agentur mit 3400 Franken zuzüglich 8 Prozent Mehrwertsteuer, Lieferung innerhalb von drei Wochen. Die Konkurrenz GWriters braucht laut Offerte gar nur zwei Wochen für das Exposé im selben Umfang. Die komplette Dissertation gibt es für 14 000 Franken inklusive Mehrwertsteuer – der Zeitrahmen wird offengelassen. «In mehreren Gesprächen mit dem Autor werden Sie die Möglichkeit haben, uns Ihre Einsichten beziehungsweise diejenigen Ihrer Betreuer nahezulegen», heisst es in der Offerte. Mit keinem Wort findet Erwähnung, dass die Arbeit lediglich als Mustervorlage verwendet werden dürfe. Nur wer die Website von GWriters studiert, liest dort, dass die Verwendung der Arbeit unter Angabe der eigenen Urheberschaft nicht zulässig ist.
«Unsere studentischen Kunden weisen wir darauf hin, sich an ihre jeweiligen Prüfungsordnungen zu halten und die von uns geschriebenen Texte als Manuskripte beziehungsweise Lösungsvorschläge anzusehen», schreibt die Agentur GWriters in einer Stellungnahme. Und weiter: «Die Kontrolle der Einhaltung dieser hochschulspezifischen Regelungen gehört nicht zu unseren Aufgaben.» Ghostwriting, heißt es in der Stellungnahme weiter, existiere seit der Erfindung der Schrift und sei vollkommen legal. GWriters beruft sich auf ein kürzlich gefälltes Urteil eines deutschen Gerichts, wonach das auftragsweise Erstellen von Hochschul-Abschlussarbeiten und Dissertationen zwar gegen die «guten Sitten» verstoße. Es handle sich aber «lediglich um ein rechtlich missbilligtes Gewerbe». Ghostwriting steht damit auf einer Stufe mit der Prostitution: zwar sittenwidrig, aber nicht verboten.
In der Schweiz gibt es kein vergleichbares Urteil. Unabhängig davon versuchen die Hochschulen, mit Reglementen gegen Ghostwriting anzugehen. Die Universität St. Gallen will nun ausserdem mit einer Strafanzeige gegen das Ghostwriting vorgehen. Die Medienstelle bestätigte am Mittwoch einen entsprechenden Bericht des Fernsehmagazins «Rundschau». Die Anzeige sei im Verlauf des vergangenen Jahres eingereicht worden und richte sich gegen einen kommerziellen Anbieter wissenschaftlicher Arbeiten. Doch die Fälle sind schwer zu erkennen, wie Marius Hasenböhler von der Universität St. Gallen gegenüber der NZZ sagt. Man mache wohl klar, dass die Entdeckung von Ghostwriting sowohl disziplinarische als auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen könne. «Zudem werden die Studierenden darauf hingewiesen, dass sie sich ein Leben lang erpressbar machen, wenn sie sich eines Ghostwriters bedienen», ergänzt Marius Hasenböhler.
Die Studierenden müssen mit der Arbeit eine sogenannte Eigenständigkeits-Erklärung abgeben, zudem würden Zwischenbesprechungen durchgeführt und die mündliche Verteidigung der Arbeit gefordert. Auch ein Masterstudent muss sich einer mündlichen Ausführung zu seiner Arbeit stellen, wie dies auf Doktoratsstufe gängige Praxis ist. Doch auch darauf können sich Studentinnen und Studenten vorbereiten. Acad Write bietet Coaching-Pakete an, wenn «die Auftraggeber auch wirklich den wissenschaftlichen Background verstehen wollen».
Wird ein Student trotzdem als Kunde eines Ghostwriters entlarvt, blüht ihm außer Disziplinarmassnahmen nicht viel. «Die Konsequenzen bei einem Fehlverhalten sind je nach Hochschule und Vergehen unterschiedlich», schreibt die Hochschulrektorenkonferenz Swissuniversities auf Anfrage: «Dazu gehören schriftliche Verweise, Ausschluss von Lehrveranstaltungen oder von der Benützung einzelner Hochschuleinrichtungen bis hin zum Ausschluss vom Studium und/oder Prüfungen.»
Für Thomas Nemet, Geschäftsführer von Acad Write, ist indes klar: «Wir sind nicht das Problem.» Das Universitätssystem sei es, das sich verbessern müsse. «Würde das Bildungssystem funktionieren, wäre Ghostwriting eine brotlose Kunst», folgert er.
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