Datum: 25.08.2020 Erschienen in: Wirtschaftswoche Autor: Philipp Frohn
Von der Seminar- bis zur Doktorarbeit bieten Ghostwriter ihre Dienste für fast jede akademische Schrift an. Ihre Kunden erhoffen sich davon bessere Karrierechancen – und ignorieren das rechtliche Risiko.
Marcel Kopper hätte es sich leicht machen können. Nur wenige Prüfungen und die Masterarbeit trennen ihn noch von seinem Universitätsabschluss. Als Gründer und Vorstandsmitglied von GWriters führt Kopper nebenbei ein Unternehmen, das sich auf akademisches Ghostwriting spezialisiert hat. Essays, Bachelorarbeiten, sogar Dissertationen: So ziemlich alles, was Studierende im Laufe ihres Studiums aus ihrer eigenen Geisteskraft zu schöpfen haben, bietet GWriters als Service an und ist damit eine der größten
Ghostwriting-Agenturen im deutsprachigen Raum. Natürlich hätte sich da auch für eine Masterarbeit im Fach Management ein kompetenter Mitarbeiter gefunden. Sein eigener Kunde aber wollte Kopper nicht werden. „Wegen des Egos“, sagt er.
Dass nicht alle Studierenden den gleichen Ehrgeiz haben, kann Kopper schon an seinen eigenen Geschäftszahlen erkennen. Jährlich beanspruchen bis zu 2000 von ihnen Leistungen von GWriters. Dessen Umsatz, sagt Kopper, liege zwischen einer und zwei Millionen Euro. Allgemeinere Erhebungen über das Ausmaß von akademischem Ghostwriting gibt es nicht. Die Fair-use-Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2013 aber gibt zumindest einen Anhaltspunkt, wie viele Studierende sich mit fremden Federn schmücken – ob nun käuflich oder durch die Hilfe zuvorkommender Kommilitonen: 18 Prozent der Studierenden haben mindestens einmal während des Studiums plagiiert. Das entspräche heute über einer halben Million Studierender – und die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein.
Ursprünglich hatten Kopper und seine Mitgründer im Jahr 2011 nur einen Neben- verdienst gesucht, um sich das Studium zu finanzieren. Sie verdingten sich als Ghostwriter ihrer Kommilitonen, schnell lief das Geschäft so gut, dass sie selbst Freiberufler beschäftigten und sich auf die Koordination konzentrierten. Denn das Geschäftsmodell, so erklärt Kopper selbst sich heute das schnelle Wachstum der ersten Monate, passte perfekt in seine Zeit. Während die Karrieren von Politikern wie Karl Theodor zuGuttenberg (CSU) und Annette Schavan (CDU) an Plagiaten in ihren Dissertationen zerbrachen, begannen sich Tausende deutsche Studenten und Absolventen um die eigenen akademischen Würden zu sorgen: Wenn bei ihnen mal jemand so genau hinschauen würde, wäre es wohl schnell vorbei mit dem schönen Kürzel am Klingelschild.
Heute, wo der einstige CSU-Überflieger zu Guttenberg sich im zweiten Anlauf den akademischen Grad gesichert hat, sieht sich Kopper längst in
der Mitte der akademischen Gesellschaft angekommen. „Wir sind Dienstleister – keine Schmuddelecke“, so lautet das Credo von GWriters. Das manifestiert sich auch im Firmensitz, den GWriters zunächst auf der Düsseldorfer Königsallee bezog, um später ins schweizerische Zug überzusiedeln. Von der Anrüchigkeit der analogen Zeit, in der schreibfaule Studierende ihre Auftragnehmer in entlegenen Ecken treffen mussten, wie Drogensüchtige ihre Dealer, ist nicht mehr viel übrig geblieben. GWriters, Acad Write
und Dr. Franke, die großen Agenturen, bedienen hochprofessionell den Schummeldrang der Studierenden.
Die Wachstumsraten von einst 100 Prozent im Jahr sind zwar vorbei, doch der stete Fluss an Skandalen und Skandälchen nährt das Geschäft. Mal ist es die Familienministerin Franziska Giffey (SPD), deren Doktorarbeit einer Prüfung unterzogen und dann als gerade noch tolerabel eingestuft wird. Dann die Darmstädter Soziologieprofessorin Cornelia Koppetsch, ein echter Star ihrer Zunft, bis sich ihr populärwissenschaftliches Hauptwerk „Die Gesellschaft des Zorns“ als Plagiat entpuppt. Bei rund fünf Prozent liegen die jährlichen Wachstumsraten heute. Ganz generell profitieren Ghostwriter und Agenturen dabei von der anhaltenden Akademisierungswelle. Und operieren trotz aller Distinguiertheit ihres Auftretens dennoch am Rande der Legalität. „Die Agenturen machen sich nicht strafbar“, sagt Christian Birnbaum, Anwalt für Hochschulrecht. „Die Studenten begehen mit der Inanspruchnahme eines Ghostwriters einen schweren Täuschungsversuch.“ Im schlimmsten Fall droht der Rauswurf aus der Uni.
Ebenso wie Kopper ist auch Thomas Nemet, Gründer und CEO des Konkurrenten Acad Write mit Sitz in Zürich, darauf bedacht, wenig Angriffsfläche zu bieten. Keine Ghostwriting-Agentur rühmt sich damit, abgabefertige Abschlussarbeiten anzubieten. Nemet spricht stattdessen von „Hilfestellungen“ und fügt hinzu: „Wir weisen unsere Kunden darauf hin, dass sie die Arbeiten nicht 1:1 abgeben, sondern lediglich für die weitere private Recherche nutzen dürfen.“
„Die mangelnde Betreuung der Studenten an den Unis spielt uns in die Hände“
Marcel Kopper -Gründer der Agentur GWriters
Es wären ziemlich teure Recherchehilfen, die sich Tausende deutsche Studierende da angeblich leisten: Laut Preiskalkulator von Acad Write kostet eine 50-seitige Literaturrecherche mindestens 4400 Euro.
Angesichts der Preise überrascht es nicht, dass der Kundenstamm von Acad-Write eher aus besser betuchten Haushalten stammt. Sowohl von Acad Write als auch von GWriters heißt es: Nur etwa die Hälfte der Kunden seien Vollzeitstudierende. Ein Großteil der Auftraggeber befände sich bereits im Job und wolle mit einem akademischen Abschluss die Aufstiegschancen erhöhen. „Wenn Unternehmensnamen fallen, dann sind es eher größere“, sagt Kopper, ohne ins Detail zu gehen. Eine Suche in einschlägigen Facebook- Gruppen bestätigt: Mitarbeiter des Skandalkonzerns Wirecard oder von Bosch Thermotechnik suchen dort nach Ghostwritern. „Je anspruchsvoller der Job, desto mehr finanzielle Freiheiten haben die Kunden – aber gleichzeitig fehlt ihnen Zeit“, so Kopper. „Und wenn man beides zusammenzählt, dann landen sie bei uns.“
In der universitären Welt teilen nur wenige die harmlose Selbsteinschätzung der Ghostwriter. Der Boom erkaufter Bildung sei ein riesiges Problem für die Integrität der Hochschulen, sagt etwa Debora Wulff-Weber. Sie ist Professorin für Informatik an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin und kämpft seit Jahren gegen Plagiarismus im akademischen Umfeld. Plagiatssoftware, die wissenschaftlich unsaubere Arbeit enttarnen will, kratze nur an der Oberfläche des Problems – zumal sie gegen professionelles Ghostwriting machtlos sei. „Wir müssen an den Hochschulen gute wissenschaftliche Arbeit kultivieren“, sagt Weber-Wulff. Schließlich sei es erst die selbstständige Auseinandersetzung mit der Materie, die zu kritischem Denken befähige – und damit die Kompetenzen schule, die für die berufliche Zukunft entscheidend sind.
Die Profiteure der Branche zeigen keine moralischen Skrupel. Im Gegenteil: Sie gerieren sich sogar als Retter einer vom System unterdrückten Studierendenschaft. „Das größere Problem ist, dass der wissenschaftliche Betrieb vollkommen industrialisiert ist“, sagt Acad-Write-CEO Nemet. Mit der Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse seien Belastungen für Studierende stark gestiegen, die Betreuungssituation an den Unis sei schlecht. „Die mangelnde Betreuung der Studenten an den Unis spielt uns in die Hände“, sagt auch Marcel Kopper von GWriters. Er zumindest dürfte tatsächlich auch ohne professionelle Hilfe problemlos ins akademische Ziel kommen: Schon sein Bachelorstudium hat Kopper statt in sechs Semestern in zweien absolviert – neben der Unternehmensgründung.
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