grounded theorie methodologie

Grounded Theory Methodologie - mit Beispielen einfach erklärt!

Anna Milena von Gersdorff

(Head of Marketing)

20.10.2021

Anna Milena von Gersdorff leitet als Online-Marketing Expertin den GWriters Blog sowie alle Veröffentlichungen, Änderungen und Sonderaktionen auf unserer Webseite. Darüber hinaus ist Sie für gesamte Öffentlichkeitsarbeit und die Kommunikation mit unseren Medienpartnern zuständig.

Was ist die Grounded Theory Methodology?

Die Grounded Theory Methodologie wurde in den 60er Jahren von den Soziologen Anseln Strauss und Barney Glaser als Forschungsmethode entwickelt (Originalwerk: 1967, deutsche Fassung: 1998). Bei der Grounded Theory Methode handelt es sich um eine Methodik aus der Sozialwissenschaft. Die Idee ist es, qualitative Daten z.B. in Form von Interviews zu sammeln und diese dann einer Auswertung zuzuführen.

Das Ziel ist es, aus diesen Daten eine neue Theorie herauszubilden. Dabei erfolgt die Sammlung und Auswertung der Daten so lange bis neue Auswertungen keine neuen Erkenntnisse mehr zu Tage fördern. Dann ist die sog. theoretische Sättigung erreicht und es entsteht ein theoretisches Modell, das das Forschungsthema vollständig erfasst.

Grounded Theory Definition:

Der erste Teil des Namens – „Grounded“ – zeigt also, dass die Theorie, die entwickelt werden soll, in der Empirie zu verorten ist. Der zweite Teil des Namens – „Theory“ – soll verdeutlichen, dass es sich um eine Methodik handelt, die eine „neue“ Theorie ableiten soll.

Wann wird die Grounded Theory Methodology angewendet?

Bei der Grounded Theory handelt es sich um eine Methodik aus der Sozialwissenschaft und der Begriff kann ins Deutsche am ehesten als „gegenstandsbezogene Theoriebildung“ übersetzt werden.

Besonders wird Grounded Theory bei der Sozialforschung und in den Bereichen Soziologie, Psychologie und Pädagogik angewendet, wo einzelne Disziplinen menschliches Handeln in bestimmten Bereichen (Gegenständen) berühren.

Wenn aus großen Textmengen neue Überlegungen, Zusammenhänge oder Erkenntnisse für einen Gegenstandbereich abgeleitet werden soll, sollte diese Methodik angewendet werden. Die Methoden-Empfehlung ist auch für inhaltsanalytische Arbeiten, weiterführende Konzepte und neue Überlegungen geeignet.

Die Grounded Theory gestaltet sich ähnlich wie die Methodik der Inhaltsanalyse nach Mayring.  Auch hier wird ein Kodierprozess für eine qualitative Inhaltsanalyse von Texten oder Textpassagen durchgeführt. Mehr Informationen über die Inhaltsanalyse nach Mayring erfahren Sie hier.

Da diese Methodologie weit fortgeschritten ist, kommt diese im Studium höchstens in Einsatz, wenn Professoren Ihre Studierenden eine Masterarbeit schreiben lassen.

Welche Datenquellen werden in der Grounded Theory Methodology verwendet?

In den Sozialwissenschaften/Sozialforschungen werden als Datenmaterialien häufig Texte, wie verschriftlichte Interviews und Beobachtungsprotokolle verwendet. Auch andere Datenquellen werden zusätzlich für die Bearbeitung einer Forschungsfrage herangezogen, z.B. Audioaufnahmen, Fachzeitschriftenartikel und andere Dokumente.

Einleitung: Wie wird eine Grounded Theory erstellt?

Der zentrale Analyseprozess beginnt mit dem Kodieren. Die gesammelten Informationen werden ausgewertet, indem man sie kodiert. Es gibt hier drei Kodierungsarten: das offene Kodieren, das axiale Kodieren und das selektive Kodieren. Dabei steht die Grounded Theory Methodologie nicht als alleinige Methode, sondern ist als eine Kombination verschiedener Auswertungsverfahren zu verstehen.  

Während des Kodierungsprozesses werden im Hintergrund alle gewonnen Daten mit neuen Daten konstant verglichen und neu kodiert, bis die theoretische Sättigung erreicht ist. Dieser Forschungsprozess im Rahmen des Grounded Theory Ansatzes erfordert einen ständigen Wechsel zwischen Datenerhebung, Datenauswertung und Theorienbildung, bis eine theoretische Sättigung erreicht ist.

Den Analysenprozess stellte Strauss in einer Grafik dar. An der Abbildung erkennen Sie die grafische Darstellung des Kodierprozesses. Die Pfeilen nach links und rechts bedeuten, dass ein ständiger Vergleich zwischen alten und neu gewonnen Daten durchgeführt wird. (Quelle: Strübing 2008, 15)

kodierprozess-Grounded Theorie
Der Kodierprozess nach Anseln Strauss (Quelle: Strübing 2008)

Um den Überblick bei der Theoriebildung nicht zu verlieren, werden während des Kodierungsprozesses theoretische Memos geschrieben. Diese Memos dienen dazu, die theoriebezogenen Ziele des Forschers festzuhalten. Dabei werden die Memos während des Prozesses entweder entfernt oder detailliert.

Laut Strauss findet die Theoriebildung in drei Phasen statt (Strauss und Corbin, 1990):

  • Offenes Kodieren: Bezeichnungen für Konzepte und Herausarbeitung von Kategorien (Klassifizierung von Konzepten)

  • Axiales Kodieren: Herausarbeitung der Achsenkategorien und Ihre Verbindungen

  • Selektives Kodieren: Finden der zentralen Kategorie und die Bildung der Theorie

Offenes Kodieren:

Die Idee des offenen Kodierens ist es, die Informationen und Phänomene, die im Text vorkommen, in Schlüsselbegriffen zusammenzufassen. Phänomene werden aus den Daten entwickelt, zum Beispiel menschliches Verhalten in bestimmten Situationen. Dann wird das interessierende Phänomen in vielen unterschiedlichen Kontexten analysiert, damit mehr Vergleichsmöglichkeiten entstehen.

Offenes Kodieren Beispiel
Offenes Kodieren Beispiel: Zerlegung des Textes in Sinneinheiten (Quelle: Böjm, 1994)

Der Text wird, wie im obigen Beispiel gezeigt, in mehrere Teile zerlegt und konzeptualisiert. Dabei soll nicht das Phänomen benannt werden, sondern auch zu jeder einzelnen Textpassage theoriegenerierende Fragen gestellt werden (nicht alle Fragen müssen beantwortet werden).

  • Was? Worum geht es hier? Welches Phänomen wird angesprochen?

  • Wer? Welche Personen, Akteure sind beteiligt? Welche Rollen spielen sie dabei? Wie interagieren diese?

  • Wie? Welche Aspekte des Phänomens werden angesprochen (oder nicht angesprochen)?

  • Wann? Wie lange? Wo? Zeit, Verlauf und Ort? Wieviel? Wie stark? Intensitätsaspekte

  • Warum? Welche Begründungen werden gegeben oder lassen sich erschließen?

  • Wozu? In welcher Absicht, zu welchem Zweck?

  • Womit? Mittel, Taktiken und Strategien zum Erreichen des Ziels

Laut Strauss und Corbin sollte „jeder Satz und Absatz [...] aufgebrochen werden und zu jedem einzelnen Vorfall oder jede Idee, in der etwas ein Phänomen darstellt, einen Namen vergeben werden“(1990).

Konzeptualisierung Grounded Theory Modell

Unter offenem Kodieren versteht man die Zerlegung der Informationen in kleinere Konzepte. Im Kodierungsprozess werden alle Informationen, die für die Forschungsfrage wichtig sein könnten, in größere Sinneinheiten kategorisiert (Kategorienbildung). Basierend auf den Schlüsselkategorien wird die Theorie gebildet.

Jedes gefundene Phänomen hat ein Merkmal. Zum Beispiel wird als erstes Konzept im Beispieltext die „Zielgruppe“ definiert. Hierzu kann das Merkmal „Erreichbarkeit“ definiert werden. Im Anschluss werden weitere Konzepte mit einem Zusammenhang zur „Zielgruppe“ vorgeschlagen. Das offene Kodieren ist abgeschlossen, wenn alle Konzepte zu abstrakteren Schlüsselkategorien festgelegt und diesen Eigenschaften zugeordnet wurden.

Konzeptualisierung Grounded Theory Beispiel

Axiales Kodieren:

In der Phase des axialen Kodierens werden alle vorhandenen Informationen auf neue Art und Weise zusammengestellt, indem Beziehungen zwischen Kategorien und ihren Subkategorien entwickelt werden.

Kodierparadigma
Kodierparadigma (Quelle: Strübing, 2008)
Axiales Kodieren
Axiales Kodieren am Beispielthema Schmerz (Quelle: Böhm, 1994)

Zunächst werden zentrale Kategorien aus der Theorie herausgezogen. Um diese Schlüsselkategorien festzulegen, wird das axiale Kodieren bzw. Achsenkategorien angewendet.

Die Verbindungen zwischen den Achsenkategorien stellen die Beziehungen der einzelnen Subkategorien dar, die herausgearbeitet werden sollen. In der folgenden Grafik finden Sie zum Kategorisieren der zentralen Themen das Kodierparadigma, das von Strauss und Corbin entwickelt wurde.  

Im Mittelpunkt der Achsenkategorien steht das Phänomen der Arbeit, welches eine Ursache hat. In diesem Beispiel zum Thema Schmerz beim Beinbruch ist das Phänomen Schmerz, für den die Ursache in einem Beinbruch liegt. Das Kontextwissen gibt an, was der Hintergrund und die Dauer der Ursache ist. In diesem Fall könnte der Beinbruch beim Fußballspiel oder Skifahren entstanden sein.

Darüber hinaus bestimmt die Strategie, wie das Phänomen behandelt werden kann. Jede Strategie hat eine Konsequenz. In der Konsequenz wird das Ergebnis der Anwendung der Strategie auf das Phänomen bezogen dargestellt.

Die Schmerzen beim Beinbruch können durch Schmerzmittel reduziert werden. Die intervenierenden Bedingungen bezeichnen die Vorbedingungen für eine Strategie, die nicht immer notwendig ist.

Selektives Kodieren:

Beim selektiven Kodieren handelt es sich um die Findung der Zentralkategorie. Dieses Kodieren ist ähnlich wie das axiale Kodieren. Der unterscheidende Punkt ist, dass beim selektiven Kodieren die Analyse auf einem höheren Niveau erfolgt.

Die zusammengestellten Achsenkategorien werden in größere Kategorien zusammengefasst, solange bis schließlich die zentrale Kategorie entwickelt wird. Auf Basis der Kernkategorie wird die Theorie ausformuliert und anhand der Informationen erneut kontrolliert.

Bei der Theorieformulierung werden die während des Forschungsprozesses geschriebenen Memos als Hilfsmittel benutzt.

Beispiel für Grounded Theory Anwendung

Um eine gegenstandsbezogene Theorie praktisch zu gestalten müssen vier wichtige Arbeitsschritte durchgeführt werden. Den Schwerpunkt bilden dabei die zentralen Kodierungen des Forschungsprozess. Anhand eines Beispielthemas sehen Sie im folgendem wie eine Grounded Theory erstellt wird.

  • Theoretische Vorannahmen

  • Datensammlung

  • Kodieren

  • Ergebnis

Beispielthema: die Schlaflosigkeit nach einem Film

Theoretische Vorannahme:

Welche Vorkenntnisse oder Vorannahmen haben Sie zum Thema Schlaflosigkeit nach einem Horrorfilm? Welche wissenschaftlichen Quelle finden Sie hierzu?

Nach der Grounded Theory Methode erheben Sie die sog. theoretischen Vorannahmen aus der Literatur. Diese dienen als Grundlage für die Datensammlung und Auswertung, zum Beispiel:

Ein Film kann zu unterschiedlichen Schlafrhythmen führen. Jedes Schlafproblem benötigt eine bestimmte Strategie bzw. Behandlung.

Datensammlung:

Bei der Datensammlung geht es darum, Informationen zum Thema zu erheben. Dies könnte z.B. durch eine Expertenbefragung erfolgen, zum Beispiel:

  • Personen befragen, die Schlafprobleme aufgrund eines Films hatten.

  • Ärzte/Ärztinnen interviewen, die regelmäßig Schlafprobleme behandeln.

  • Patienten/Patientinnen befragen, die an Schlafproblemen leiden.

  • Gesundheitliche Forumsseiten zum Thema Schlafprobleme besuchen, untersuchen und dokumentieren.

Merke: So viele Daten wie möglich mit unterschiedlichen Quellen erheben.

Kodieren:

Nachdem genug Daten in Form von Interviews zum Thema Schlafprobleme nach einem Film gesammelt wurden, werden diese Interviews mit theoriegenerierenden Fragstellungen zerlegt. Zum Beispiel sieht das bei der offenen Kodierung so aus:

Textpassage: Interview

Theoriegenerierende Fragstellungen & Antworten

Offenes Kodieren:

„Seitdem ich einen Film angeschaut habe, schlafe ich sehr schlecht.“

-Was ist das Phänomen?

Schlafen

-Wann? Wie lange? Wo? Zeit, Verlauf und Ort

Nach einem Film

-Wieviel? Wie stark? Intensitätsaspekte

Starke Schlafprobleme

-Warum? Welche Begründungen werden gegeben oder lassen sich erschließen?

Aufgrund eines Films

- Starke Schlafprobleme

 

- Film

 

 

 

„Obwohl ich einen Horrorfilm angeschaut hatte, konnte ich wie gewohnt schnell einschlafen.“

 

 

-Was ist das Phänomen?

Schlafen

-Wann? Wie lange? Wo? Zeit, Verlauf und Ort

Nach einem Horrorfilm

-Wieviel? Wie stark? Intensitätsaspekte

Kein Schlafproblem

-Warum? Welche Begründungen werden gegeben oder lassen sich erschließen?

Aufgrund eines Horrorfilmes

 

- Kein Schlafproblem

 

- Horrorfilm

Die Kodierungen gehen solange bis die Kodes als Konzepte zusammengefasst werden. Zum Beispiel wenn oft als Kode die Arten der Beschwerden benannt wurden, dann entsteht ein Konzept für beide Schlafrhythmen:

Kode:

Konzept

Starke Schlafprobleme

Schwache Schlafprobleme

Schlafwahrnehmung

In der axialen Kodierung werden aus erstellten Konzepten Achsenkategorien, indem Beziehungen zwischen deren Merkmalen erstellt werden.

Kodierparadigma Beispiel

Beim selektiven Kodieren werden aus Kategorien Kernkategorien hergestellt. Die Kategorienbildung ist abhängig vom Thema. Wenn eine Achsenkategorie sehr viele Beziehungen zu anderen Kategorien hat, kann die Kategorie als Kernkategorie bestimmt werden.

Schlafbehandlung und Schlafwahrnehmungen sind zwei Kategorien einer Achsenkategorie, die zu vielen anderen Kategorien Beziehungen haben und stehen an oberster Stelle. Beide Kategorien können zusammen verknüpft werden, sodass eine Kernkategorie mit dem Oberbegriff Schlafmanagement verwendet werden kann.

kerkategorie erstellen grounded Theorie

Das Beziehungsnetzwerk bildet eine Hierarchie von einer Kernkategorie bis zu Unterkategorien. Auch kann eine Unterkategorie ein Unterkapitel haben und mit Textstellen von Interviews versehen werden.

Zusammenfassung: Grounded Theory

In der Grounded Theory werden an erster Stelle alle Daten gesammelt (theoretisches Sampling). Theoretisches Sampling bedeutet alle Daten zur Forschungsfrage zu sammeln, zu erheben und auszuwerten.

Alle ähnliche Daten werden miteinander verglichen und wichtige Daten werden herausgearbeitet. Es können fast alle Arten von Daten für die Analyse verwendet werden. (Interviewprotokolle, Beobachtungen, etc.)

Zu Beginn werden alle Datenmaterialen Satz für Satz und Wort für Wort untersucht. Dann werden die Sätze oder Wörter, deren Aussagen ein Phänomen darstellen, in Kodes umgewandelt. Aus der Verbindung zwischen den Kodes werden Kategorien entwickelt. Neben der Kodierung werden alle Arbeitsschritte mit Notizen (Memos) festgehalten.

Eine theoretische Sättigung erreichen Sie erst dann, wenn Sie ein Beziehungsnetzwerk aus Kategorien hergestellt haben. Je kleiner und dichter das Netzwerk ist, desto genauer wird die Theorie.

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Weiterführende Quellen:

Böhm, Andreas (1994): Grounded Theory - wie aus Texten Modelle und Theorien gemacht werden. In: Boehm, Andreas/Mengel, Andreas/Muhr, Thomas (Hg.): Texte verstehen: Konzepte, Methoden, Werkzeuge. Konstanz: Univ.-Verl. Konstanz

Glaser, Barney/Strauss, Anselm L.: The discovery of gounded theory. Chicago: Aldine, 1967, (Originalwerk, deutsche Übersetzung: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern: Verlag Hans Huber, 1998.)

Strübing, Jörg (2008): Grounded theory: Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. 2., überarb. und erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.

Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet M. (1990): Basics of qualitative research: Grounded theory procedures and techniques. Newbury Park, Calif.: SAGE

Strübing, Jörg (2008): Grounded theory: Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. 2., überarb. und erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.