Datum: 25.11.2019 Erschienen in: Kurier.at Autor: Ornella Wächter
Akademisches Ghostwriting floriert – Wie aus einer Schattenwirtschaft eine Dienstleistungsbranche mit Millionen-Umsatz wurde.
„Nein, ich gebe keine Interviews. Ich mache hier ein diskretes Geschäft und habe keine Zeit für so etwas“, blafft der Mann in den Hörer, der sich im Internet „Dr. Ulrich“ nennt und seine Dienste als akademischer Ghostwriter zur Verfügung stellt. Auch Kerstin, die sich auf flohmarkt.at „Schreib-Coach“ nennt, möchte lieber nicht über ihre Arbeit als akademische Ghostwriterin sprechen. Denn darauf läuft das Online-Inserat hinaus.
Selbst Thomas Nemet, CEO von Acad Write, der mit seiner Ghostwriting-Agentur 2015 zwei Millionen Euro umgesetzt haben soll, sagte nach Tagen mühsamer Termin-Koordinierung ab. Eine Zusage kam schließlich von Marcel Kopper, der vor ein paar Jahren noch selbst „Mustervorlagen für wissenschaftliche Arbeiten“ schrieb und 2015 mit seiner Agentur GWriters knapp eineinhalb Millionen umsetzt.
Der Umsatz sei inzwischen gewachsen, er möchte aber keine Zahlen nennen. Sicher ist – seine Agentur mit Sitz in Zürich floriert. Inzwischen bietet sie ihre Dienste in Österreich, Deutschland, Großbritannien, Polen und der Türkei an. Über 3.000 freie Ghostwriter werden bei GWriters beschäftigt.
Wenn ein Student heute eine wissenschaftliche Arbeit braucht, sie aber selbst nicht schreiben kann oder will, kann er sie bestellen. Bei GWriters zahlt man pro Seite zwischen 80 und 90 Euro, bei komplexeren Themen 110 Euro und mehr. Eine 40-seitige Bachelor-Arbeit kostet damit rund 3.600 Euro, eine 100-seitige Master-Arbeit rund 8.000 Euro.
Richtig teuer wird es bei Doktorarbeiten. Drei bis vier Jahre dauert das Verfassen der „Mustervorlage“ – bis zu 25.000 Euro habe ein Kunde dafür schon gezahlt, erzählt Kopper.
Über mangelnde Nachfrage kann der junge Unternehmer nicht klagen. Zwischen 1.600 und 3.000 Aufträge wickelt seine Agentur im Jahr ab. Die meisten kämen aus sozialwissenschaftlichen Bereichen, wo weniger empirisch und mehr auf Basis von Literaturanalysen gearbeitet werde, so Kopper.
Etwa Wirtschaft, Politik, Recht oder auch Psychologie. „Was wir machen, ist aber mit Anbietern im englischsprachigen Raum nicht zu vergleichen“, relativiert Marcel Kopper. „In den USA gibt es Anbieter, die das Geschäft bis zur Perversion treiben, mit bis zu 30.000 Schreibern in einer Firma.“
GWriters ist nur ein Anbieter unter vielen. Ghostwriting ist längst keine versteckte Schattenwirtschaft mehr, sondern eine Dienstleistungsbranche, die die Öffentlichkeit sucht. Die Anbieter werben in sozialen Medien, haben Preisrechner auf ihren Websites und lassen sich von unabhängigen Plattformen auf Qualitätsgarantie bewerten. Sie akzeptieren Kreditkarten, Paypal und Bezahlung auf Raten. Es ist ein ausgebauter Geschäftszweig.
Man könnte aber auch sagen, Ghostwriter machen mit Betrug auf Kosten der Wissenschaft Geschäft. Zwar weisen Agenturen irgendwo in ihren AGB’s darauf hin, dass wissenschaftliche Arbeiten nur für legale Zwecke eingesetzt werden sollen und empfehlen auch eine Überarbeitung der „Vorlage.“
Doch der Verdacht ist naheliegend, dass eine bestellte Arbeit, für die viel Geld hingeblättert wird, von den Kunden auch als eigene geistige Leistung an der Hochschule eingereicht wird.
„Ob bei einer Abschlussarbeit Ghostwriting vorliegt, ist für Universitäten nur schwer zu erkennen“, sagt Christa Schnabl, Vizerektorin für Studium und Lehre und Vorsitzende des Forums Lehre der Österreichischen Universitätenkonferenz (Uniko). „Ein Verdacht auf Ghostwriting entsteht etwa dann, wenn Studierende Fragen zur Thematik mündlich nicht angemessen beantworten können.“
Bester Schutz gegen Ghostwriting seien gute Betreuungsrelationen sowie die Lehre von guter wissenschaftlichen Praxis. Fliegt die Täuschung auf, passiert Ghostwritern nichts. Es gibt kein Gesetz, das ihr Gewerbe verbietet. Aber ist es ethisch vertretbar?
Die Frage nach der Moral sei für ihn schwierig zu beantworten, sagt Kopper. „Denn zu sagen, das sei den anderen Studenten unfair gegenüber, reicht nicht. Die meisten unserer Kunden können ihre Arbeit schon selbst verfassen. Sie schaffen es aber oft aus zeitlichen Gründen nicht.”
Wie viele aus der Branche, hat auch Marcel Kopper ein dickes Fell. Und wie viele seiner Mitbewerber spielt auch Kopper den Ball zurück an die Hochschuleinrichtungen. Zu volle Hörsäle, zu schlechte Betreuungsverhältnisse und mangelhafte Lehre im wissenschaftlichen Schreiben würden Wissenschaftsbetrug begünstigen. „Wir schließen die Lücken des Bildungssystems“, sagt ein Ghostwriting-Insider.
Gesicherte Zahlen darüber, wie viele Studierende die Dienste eines Ghostwriters in Anspruch nehmen, gibt es keine. Aus dem Jahr 2012 gibt es eine Studie zu Schummeleien an deutschen Hochschulen. Sie zeigt: Fast jeder fünfte Studierende hatte mindestens ein Plagiat abgegeben, vom Spicken in Klausuren bis hin zu Fälschungen von Daten.
Spezifische Untersuchungen zum Thema Ghostwriting gibt es aber nicht. Studienleiter Sebastian Sattler von der Universität Köln sagt dazu: „Es ist vermutlich eine der sichersten Formen des wissenschaftlichen Betrugs.“
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